Die Aussichten für die Börse waren Ende 2022 so schlecht wie selten. Herausgekommen sind neue Rekorde beim DAX und eine Party bei US-Technologieaktien. Und 2024?
Ende vergangenen Jahres war für 2023 war alles ausgemachte Sache. Die Zinsen waren weit oben und natürlich könnte dies für Technologieaktien der Nasdaq ebenso wenig gut sein wie für Gold oder Bitcoin. Kurz vor dem Jahreswechsel bleibt als Fazit, dass es genau anders gekommen ist. Vor zwölf Monaten waren zudem erstmals seit Ewigkeiten das Gros der Analysten großer Banken negativ gestimmt. Sie wurden alle auf dem falschen Fuß erwischt.
Rückspiegel
Die Stimmung war zum Neujahr 2023 so schlecht, dass für das erste Halbjahr ein kräftiges Minus von mehr als zehn Prozent erwartet wurde. . Nun sind Krisenpropheten an der Börse wie stehengebliebene Uhren. Sie liegen fast immer falsch. Nur zweimal am Tag zeigen sie die richtige Zeit an. Die Quittung folgte 2023 insofern, da bis auf zwei kleinere Korrekturen beim DAX im März und Oktober kaum ein Rücksetzer zum Nachkauf einlud. „Der Markt geht meist den Weg des größten Schmerzes“, so Stefan Riße von Acatis. Dieser Schmerz lag im vergangenen Jahr in Europa wie auch in den USA auf der Oberseite der Kurstafel. Inzwischen haben sich die Kurse auf neue Hochs emporgeschwungen. Der Deutsche Aktienindex sah erstmals die 17000er-Marke, wenngleich dem besser vergleichbaren Kursindex noch einiges zum Rekord fehlt und auch SDAX und MDAX viel Aufholpotenzial haben.
Andere Ausgangslage
Heute ist die Ausgangslage jedoch anders als Ende 2022. „Knapp 80 Prozent der von Profis verwalteten Vermögen sind in US-Aktien investiert. Das ist ein hoher, aber noch kein extremer Wert, mit Hebelinstrumenten sind auch 110 Prozent möglich, wie zuletzt Anfang 2021“, zeigt Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets auf. Gut die Hälfte der Anleger sieht den S&P 500 auf Sicht von sechs Monaten höher. Etwas Luft bis zur selten erreichten Schwelle von rund 60 Prozent ist noch vorhanden, das Chance-Risiko-Verhältnis hat sich aber deutlich verschlechtert. Ähnliche Signale sendet die sehr niedrige Volatilität. Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Im Auf und Ab der vergangenen zwei Jahre hat sich das Angstbarometer als guter Kompass erwiesen. In starken Aufwärtsphasen wie von 2019 bis 2020 war die fast durchgehend tiefe Vola hingegen kein zuverlässiger Kontraindikator.
Zinssenkungen sind nicht immer positiv
Es stellt sich daher die Frage, ob der Traum vom Goldlöckchen-Szenario wie eine Seifenblase platzen könnte und Risiken zu wenig eingepreist sind. Von den Notenbanken, deren geldpolitischer Kurs letztlich die Richtung stark beeinflusst, ist zumindest eher Unterstützung zu erwarten. Fed-Chef Powell spielte auf der Dezember-Sitzung den Weihnachtsmann und ließ keine Wünsche offen. „Drei Zinssenkungen bis 2024 sind nichts anderes als eine 180-Grad-Wende in der US-Geldpolitik“, findet RoboMarkets-Analyst Molnar. Erste Anpassungen könnten sogar früher als erwartet erfolgen. „Denn die Fed wird sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, mit einer stärkeren Lockerung den Wahlausgang Anfang November zu beeinflussen“, glaubt Molnar. Dennoch dürften sich die am Terminmarkt eingepreisten Zinssenkungen von 150 Basispunkten als zu sportlich erweisen.
Auch sind für den Aktienmarkt Zinssenkungen nicht per se positiv. „Befand sich die Wirtschaft in einer Rezession, lag der S&P 500 rund zehn Monate nach der ersten Lockerung im Durchschnitt um rund 20 Prozent tiefer. Ohne Rezession, was eher selten vorkam, stieg er um fünf Prozent“, so Experte Riße. Die Musik spielt also vor der ersten Lockerung, an der Börse wird schließlich die Zukunft gehandelt. Experten der Fonds-Boutique Skeptiker weisen aber darauf hin, dass für manche die FED schon „hinter der Kurve“ sei. Sie hätte längst mit Zinssenkungen beginnen müssen, so die Sorge.
Die Bäume wachsen nicht in den Himmel
Im Gegenzug dürfte die Kapitalumschichtung von Aktien in Anleihen weit fortgeschritten sein. Hebelpapiere auf Zinsen respektive Treasuries waren jüngst beim Smartbroker eine häufig gehandelte Anlageklasse. Nach dem Rückgang der 10-Jahres-Zinsen in den Bereich von vier Prozent erscheint die relative Bewertung des S&P 500 gegenüber Anleihen wieder attraktiver. Problematisch ist nur der eigene historische Vergleich. Auf Basis der Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate liegt das KGV bei 19 und damit deutlich über dem 10-Jahres-Durchschnitt. Die beliebte Bewertungskennzahl sagt aber nur die halbe Wahrheit. „Ähnlich wie bei der Performance-Betrachtung verzerren die großen Tech-Schwergewichte den Durchschnitt deutlich nach oben. Ohne die Giganten ist der US-Aktienmarkt sogar recht attraktiv“, findet RoboMarkets.
Allerdings nur, wenn die Unternehmen auf der Gewinnseite liefern. Für das erste Quartal 2024 wird ein Wachstum von sieben Prozent erwartet, im zweiten Quartal sollen es elf Prozent sein, für das Gesamtjahr liegt die Messlatte bei sportlichen zwölf Prozent. Künstliche Intelligenz mag unsere Zukunft in einigen Jahren spürbar verändern. Ob aber schon 2024 deswegen die Kassen klingeln, ist zumindest fraglich, nachdem zuletzt Adobe die hohen Erwartungen an seine Programme rund um künstliche Intelligenz nicht erfüllen konnte.
Schwierige Startbedingungen
Natürlich darf ein Blick auf die Markttechnik nicht fehlen, vor allem die Prognosegüte der Zyklusbetrachtung konnte sich 2023 sehen lassen. „Vorwahljahre weisen unter bestimmten Voraussetzungen eine Trefferquote von 100 Prozent auf, das zu Ende gehende Börsenjahr hat dies eindrucksvoll bestätigt“, so Franz-Georg Wenner vom Börsendienst Indexradar. US-Wahljahre zeigen dagegen häufig eine uneinheitliche Entwicklung in den ersten sechs Monaten mit einem Tiefpunkt im Mai. Dies passt auch gut zu der derzeit eher optimistischen Stimmung. Abgesehen von einer Delle im September verläuft die zweite Jahreshälfte dagegen überwiegend freundlich. Rein statistisch gesehen entwickelt sich der Aktienmarkt vor allem in den sonst eher schwierigen Sommermonaten recht gut. Das dritte Quartal ist in Wahljahren das mit Abstand beste. Unter dem Strich liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit bezogen auf das Gesamtjahr bei knapp 75 Prozent.