Wenn die Berichtssaison auf Hochtouren läuft, verschlingen Anleger Zeitungen und Zeitschriften und versuchen, sich ein Bild von den Unternehmen zu machen, in die sie investiert haben oder investieren wollen. Und dann gibt es noch typische Trendthemen, die Medien sind voll damit, die Kurse der betroffenen Unternehmen steigen in nie geahnte Höhen – wie derzeit alles rund um Künstliche Intelligenz. Doch wie »macht« man sich ein Bild, wie nehmen wir solche Zahlen und Trends auf und wie funktioniert dieser Prozess in unserem Kopf? Denn unsere Wahrnehmung bestimmt wesentlich unsere Entscheidungsprozesse.
Die Psychologie fasst mit dem Begriff Wahrnehmung alle Prozesse und Ergebnisse der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Sinneseindrücken zusammen. Der Schwerpunkt liegt aber auf den Sinneseindrücken, denn das, was wir wahrnehmen, gibt nicht eins zu eins die Realität wider, sondern nur ein individuelles Bild von dem, was wir für real halten. Zwischen der Realität und dem, was wir wahrnehmen, befinden sich mehrere Filter. Unsere Sinnesorgane können nur einen Teil von dem, was in der Realität tatsächlich existiert, aufnehmen. Wir müssen uns deshalb auf das wichtigste – oder das, was wir dafür halten – konzentrieren.
Mit dem Auge können wir zum Beispiel nur einen kleinen Ausschnitt der Realität der existierenden elektromagnetischen Wellenlängen erkennen: Das sichtbare Licht mit Wellenlängen zwischen 400 nm (violettes Licht) und 700 nm (rotes Licht) können wir aufnehmen. Eigene Sensoren für radioaktive Strahlung, Gammastrahlen, Ultraviolettes Licht, Radiowellen oder Niederfrequenzen haben wir Menschen dagegen nicht. Insofern wird der erste Filter von den Fähigkeiten unseren Sinnesorganen definiert.
Heuristiken: Aus Urteilen werden Vorurteile
Alle Mechanismen, die wir einsetzen, um aus der Fülle der Informationen mit überschaubarem Aufwand nur die wichtigsten (leider nicht immer die richtigen) herauszufiltern, um schnell zu einem Ergebnis zu kommen, werden Heuristiken genannt. Schnelles Auffassen und eine prompte Reaktion war über tausende von Jahren hin notwendig, um zu überleben. Weder Mammut noch Säbelzahntiger ließen unseren Vorfahren lange Zeit zum Überlegen, wollten sie nur überleben.
Heuristiken sind aber keine technischen oder logischen Hilfsmittel, vielmehr färben sie den Entscheidungsprozess emotional ein. So verstehen wir unter Heuristiken beispielsweise Verhaltensweisen wie Schubladendenken, Faustregeln, Daumenregeln… Eher bestätigen sie Vorurteile als dass sie ausgewogene Urteile fällen. Komplexität zu reduzieren und schnell ein Urteil zu fällen, steht an erster Stelle. Wir bauen dabei im hohen Maße auf Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben. Bei komplexen, vernetzten und dynamischen Prozessen – ganz normal bei Anlageentscheidungen also – sind solche Heuristiken aber viel zu simpel, um zum Erfolg zu führen. Ist uns das bewusst, können wir sie gezielt(er) einsetzen.
Nächste Woche werden wir uns mit den vier wichtigsten Heuristiken befassen:
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er
Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)