FR: Herr Walter, die EZB hat am Donnerstag die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt. Was sind die Hauptgründe für diese Entscheidung?
Vanyo Walter: Die EZB reagiert hier klar auf die schwachen Konjunkturdaten und setzt insgesamt ihren Zinssenkungspfad fort. Besonders das verarbeitende Gewerbe in Europa zeigt Anzeichen einer deutlichen Schwäche, und es gibt Bedenken, dass auch der Arbeitsmarkt darunter leiden könnte. Gleichzeitig ist die Gesamtinflation im September stärker gefallen als erwartet, was der EZB Spielraum für Zinssenkungen gab. Der Disinflationsprozess läuft, aber die Kerninflation bleibt eine Herausforderung.
FR: Die Kerninflation scheint ein Knackpunkt zu sein. Warum ist diese so schwer in den Griff zu bekommen?
Vanyo Walter: Das Problem liegt vor allem im Dienstleistungssektor, wo die Lohnkosten stark steigen. Hohe Lohnabschlüsse, wie sie zum Beispiel in Deutschland von Gewerkschaften wie Verdi gefordert werden, treiben die Preise nach oben. Solange die Lohnforderungen in diesem Bereich hoch bleiben, wird es für die EZB schwierig sein, die Kerninflation deutlich zu senken. Hier stehen sich also die konjunkturelle Schwäche und die Inflationstendenzen im Dienstleistungsbereich gegenüber.
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FR: Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Zinssenkung auf die Wirtschaft?
Vanyo Walter: Zinssenkungen wirken oft mit Verzögerung, daher wird es einige Zeit dauern, bis sie ihre volle Wirkung entfalten. In der Zwischenzeit könnte die schwache Wirtschaftslage weiter belasten. Langfristig sollte der Lockerungskurs der EZB jedoch für eine gewisse Entlastung sorgen und die Wirtschaft stützen. Allerdings bleibt das Risiko bestehen, dass die Lohn-Preis-Spirale die Inflation am Leben hält.
FR: Erwarten Sie, dass die EZB ihren Zinssenkungskurs fortsetzt?
Vanyo Walter: Ja, davon geht man am Markt aus. Vermutlich wird die EZB im Dezember erneut die Zinsen senken. Auch im nächsten Jahr könnten weitere Zinssenkungen folgen, je nachdem, wie sich die Konjunktur und insbesondere die Lohnentwicklung entwickeln.
FR: Was handeln Anleger momentan?
Vanyo Walter: Die „großen“ Namen sind auch weiterhin bei Robomarkets stark nachgefragt. Nvidia greift das Rekordhoch an, zuletzt stützten die starken Zahlen von TSMC. Gleichzeitig setzt man auch auf die europäischen Tech-Titel wie SAP und ASML. Letztere kam nach den Quartalszahlen in dieser Woche deutlich unter Druck.