Dreh- und Angelpunkt an den Börsen ist die Geldpolitik und die Entwicklung der Zinsen. Eine Beruhigung des Zinsanstiegs ist in Sicht – doch reicht das für eine Kurserholung am Aktienmarkt?
„Der Zins ist der Preis des Geldes“, findet Niklas Helmreich, Deutschlandchef beim Vermögensverwalter Trive. Diese Formel ist so alt wie die These, dass die Währung so etwas ist wie die Aktie eines Landes. Aber man kann es 2022 drehen und wenden wie man will – an den Zinsen, speziell an den 10jährigen US-Zinsen, hängt der Aktienmarkt. Die großen internationalen Aktienindizes warten auf ein Signal von Fed-Chef Jerome Powell, dass die Zinserhöhungsphase endlich zuende gehen möge. Anfang November gab es diesbezüglich eher eine Enttäuschung. Besonders hart hat es logischerweise die einstigen Lieblinge aus dem US-Technologie-Sektor erwischt. Der Nasdaq büßte 2022 mehr als 30 Prozent ein, hängt er doch zuallererst am Zins.
Grund hierfür ist die Teuerung, die inzwischen zweistellige Jahresraten erreicht hat und auf das höchste Niveau seit den 80er-Jahren gestiegen ist. Elliott Management, einer der weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Hedgefonds, gibt die Schuld an der Situation den Entscheidungsträgern der Zentralbanken. Sie seien „unehrlich“ gewesen, was den Grund für die hohe Inflation angeht. Die Unterbrechung der Lieferkette durch die Corona-Krise statt der übermäßig lockeren Geldpolitik in Corona-Zeiten werde laut Elliott dafür verantwortlich gemacht. Mit anderen Worten: Die Geldpolitik war zu expansiv. Die Reputation der Notenbanken ist also schwer angeschlagen.
Wie schlimm wird es?
Schon jetzt zeigen sich immer deutlicher die Risse im weltweiten Finanzsystem. Der Beinahe-Crash am britischen Anleihemarkt wegen der Schieflage von Pensionsfonds konnte nur knapp vermieden werden. Um Sorgen vor Liquiditätsengpässen entgegenzutreten, arbeitet das amerikanische Finanzministerium bereits an Plänen für ein Anleiherückkaufprogramm. „Ohne Zweifel hätten stärkere Turbulenzen am gut 23 Billionen Dollar großen US-Bondmarkt auch starke Auswirkungen auf die globale Finanzwelt“, erklärt Ricardo Evangelista, Senior Analyst bei ActivTrades.
Und nun zeichnen sich Konjunkturprobleme ab. In US-Großstädten melden bekannte Onlineplattformen bereits erste Mietrückgänge. Zugleich wirkt die Wirtschaftsabkühlung dämpfend auf die Teuerung, wie der historisch enge Gleichlauf zwischen den Renditen sowie dem ISM-Einkaufsmanagerindex zeigt. Seit einigen Monaten sackt das Konjunkturbarometer aber kräftig ab, während die Zinsen steigen. „Diese Divergenz ist ein klares Warnsignal an die Wirtschaft, zumal auch die Inflationserwartungen kräftig fallen“, meint Niklas Helmreich. „Im Durchschnitt der nächsten fünf Jahre rechnet der Markt nur noch mit einer Teuerung im Bereich der Fed-Zielzone von etwa zwei Prozent“, ergänzt Helmreich.
Kein grünes Licht
Nach den sehr scharfen geldpolitischen Bremsmanövern könnte somit 2023 wieder eine expansive Geldpolitik mit sinkenden Leitzinsen die Märkte stützen. Doch Anleger sollten sich nicht zu früh freuen. Trotz der jüngsten Aktienkurserholung übertreffen defensive Werte weiterhin die zyklischen Werte. Das heißt, letztere steigen stärker, wenn die Konjunktur wieder positive Signale sendet, was aber derzeit nicht der Fall ist und sie deshalb hinterherhinken. Die Börsenampel steht somit auf orange, wobei überwiegend defensive Titel wie zum Beispiel dividendenstarke Aktien gefragt sind.
Und auf die Saisonalität können sich die Optimisten unter den Börsianern auch nicht verlassen: Die traditionelle Weihnachtsrallye hat in der Regel nicht stattgefunden, wenn die Aktienmarktrenditen der ersten 10 Monate des Jahres negativ waren – so wie in diesem Jahr. Es bietet sich also an, weiterhin Vorsicht walten zu lassen, zum Beispiel mit ETFs (Exchange Traded Funds) auf weltweit dividendenstarke Aktien wie sie das Papier mit der ISIN IE00BYV1YH46 von Fidelity enthalten. Eine Alternative sind Wertpapiere, die einen Puffer gegen fallende Kurse bieten und dennoch zweistellige Renditen ermöglichen wie etwa Discount- und Bonuszertifikate. Besonders stark in diesem Segment sind in Deutschland die Anbieter DZ Bank und UBS, die eine breite Palette bis in die zweite Aktienliga aus MDAX, SDAX oder TecDAX bieten.