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Tradingideen

Berlin und die zweite Chance

Behördenchaos, soziale Schieflagen und kein einziger DAX-Konzern – das war früher die Standardbegründung von Berlin-Skeptikern für einen Vermögenserwerb in der Hauptstadt. Eine sagenhafte Rally bis 2022 ließ sie kopfschüttelnd zurück. Nun gibt es die zweite Chance.

Negative Aspekte an der Bundeshauptstadt zu finden ist unglaublich einfach. Berlin bietet massenhaft Kritikpunkte und gefühlt werden es täglich mehr. Ob Silvesterausschreitungen in Neukölln und Kreuzberg, destruktive Wohnungspolitik oder dreckige Straßen wohin man schaut – die Liste ließe sich verlängern bis zu Behördenterminen auf die man mitunter Jahre warten muss. Doch Berlin ist für viele die attraktivste Stadt der Welt. Investoren aus dem Ausland haben es längst erkannt und lächeln, wenn die AfD mal wieder vorschlägt, das Berghain zu schließen und den Kotti als no-go-area klassifiziert. Obgleich man letzteres zu manchen Zeiten durchaus so sehen kann, nicht nur als Angehöriger mancher Minderheit im Land.

Zweite Chance

Trotzdem bietet Berlin 2024 eine zweite Chance am Immobilienmarkt. Denn Investoren wie Warren Buffett sind keine Anleger, die experimentell bei überteuerten Start-Ups investieren. Er interessierte sich früh für Haribo, erwarb einen deutschen Motorradhersteller und ist seit Ewigkeiten bei Firmen wie Apple, Coca-Cola oder IBM investiert. „Seit einigen Jahren hat er den Berliner Immobilienmarkt für sich entdeckt und viele Investoren aus dem Ausland folgten“, so Experten vom Broker RoboMarkets.

Genau die wittern jetzt günstige Einstiege. Als Beispiele kann man Pakete anführen wie sie die Vonovia gerade verkauft. Da gibt es Altbau-Wohnungen im Prenzlauer Berg in direkter Nachbarschaft zur hippen Stargarder Straße, die unter 3.000 Euro den Quadratmeter angeboten werden. Zugegeben – Mieteinnahmen zwischen sechs und acht Euro den Quadratmeter sind für Kapitalanleger nicht die Welt. Doch wenn ein solches Objekt in einigen Jahren leerstehend sein sollte oder sich die Preise für vermietete Objekte wieder erholen, könnte eine Spekulation interessant sein.

Berlin als Spezialfall

Denn Berlin ist eine ganz besondere Kiste. Aufgrund eines de facto nicht existenten Mietspiegels und einem seit den 1990er-Jahren immer noch wirren Mietmarktes wohnen Mieter zu 20 Euro kalt neben jenen zu sechs Euro kalt und das im gleichen Haus. Diese Phänomene sind in München, Frankfurt oder Hamburg nicht zu beobachten. Wer also scharf kalkuliert, winkt momentan bei schlecht vermieteten Einheiten und zugleich gehobenen Preisen ab. „Allerdings ist Berlin nach allen Daten diejenige Stadt in Deutschland mit der höchsten Quote möblierter Vermietungen und dazu dem höchsten Quadratmeterpreis für möblierte Einheiten“, so Jürgen Molnar, Analyst beim Broker RoboMarkets.

Die zweite Chance ergibt sich nun aber als Wette auf die Zinsentwicklung. Noch vor wenigen Wochen waren Zinsen für 10jährige Finanzierungen von fünf Prozent befürchtet worden. Geht die EZB 2024 einen Weg wie ihn die FED plant, könnten Immo-Zinsen aber bis auf 2 oder 2,5 Prozent sinken. Dann sollte sich auch der schlechte vermietete Bestand erholen. Bei Neubauten haben die Preise in Berlin ohnehin kaum nachgegeben, sind die Mieten dort eben auch auf ganz anderen Levels.

Die Blase ist geplatzt

Kurioserweise schreiben in diesen Tagen manche Experten von der geplatzten Blase Berlin. Dies ist ein wenig diskutabel, da jede Immobilie ohnehin eine eigene Betrachtung braucht und zum anderen Berlin nicht vergleichbar ist mit Nürnberg, Pforzheim oder Essen sondern vielmehr mit London, Paris oder New York. Auch wenn das die Berlin-Skeptiker vermutlich zum Lachen bringen wird.

Großinvestoren sehen das Vergleichsumfeld

Buffett bekundete sein Interesse just zu einem Zeitpunkt, da die deutschen Medien verstärkt von einer Blase sprachen. Die Preise in Berlin waren 2019 und 2022 explodiert. Viel war dabei Nachholeffekt. Denn der Immobilienmarkt in Deutschland nahm sich von 1995 bis 2010 eine lange Verschnaufpause, während es in den USA oder Großbritannien massiv aufwärts ging mit den Preisen. Die erste Welle der Preissteigerung speziell in Berlin war also nicht mehr als ein Glätten der extremen Unterbewertung. Hinzu kommt aber der Faktor Deutschland, der Faktor Berlin speziell. Personaler großer Firmen wie Google, SAP oder Amazon führen bei ausländischen Bewerbern Clubs wie das Berghain als Standortfaktor an. Die Entspanntheit von Berlin-Mitte dazu, das Flair sonntags im Mauerpark und schon sieht Berlin für viele merklich attraktiver aus als Paris. Dass man für einen Teller Sushi in Berlin noch immer einen Bruchteil dessen hinlegt, was in San Francisco oder London zu zahlen ist, lockt ebenso wie die für Ausländer im Vergleich immer noch akzeptablen Mieten.

Köpenick schlägt New York

Für Investoren wie Buffett sind Preise von 3.500 Euro den Quadratmeter für eine Wohnung in Köpenick oder Adlershof ein Witz gegen das, was in großen US-Städten aufgerufen wird. In New York sind dies Preise für einen Parkplatz. Dazu hört man immer wieder, dass lockt mit Weltoffenheit, Toleranz und in Teilen auch einem gewissen Chaos, das Berlin unbestritten bietet. Dennoch zieht es Investoren von Budapest bis Chicago genau dorthin.

„2024 wird es dazu noch ein Ereignis geben, das ebenfalls als zweite Chance gesehen werden kann. 2006 fuhren viele ausländische Gäste mit dem unglaublichen Erlebnis der Fußball-WM in ihre Länder zurück und behielten diesen Eindruck im Hinterkopf. Die Fußball-EM findet 2024 in Deutschland statt und das Finale wird in Berlin gespielt“, führt Experte Molnar von RoboMarkets an. Gut möglich, dass sich speziell die Ausländer einmal mehr Berlin auf dem Einkaufszettel anstreichen.   

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