FR: Herr Walter, die deutsche Volkswirtschaft wird zunehmend mit Begriffen wie Deindustrialisierung und Standortproblemen in Verbindung gebracht. Wo sehen Sie die Hauptgründe für die schwächelnde Industrieproduktion?
Vanyo Walter: Die Probleme sind vielschichtig. Ein zentraler Faktor ist die fehlende Vorbereitung auf die Herausforderungen der geopolitischen Krisen, den zunehmenden Protektionismus und die wachsende Konkurrenz, etwa aus den USA oder Asien. Besonders betroffen sind die Automobilindustrie und energieintensive Branchen, die in einem hoch regulierten Umfeld operieren. Die Industrieproduktion in Deutschland ist seit 2018 um 16 % zurückgegangen – ein alarmierendes Signal. Politik und Unternehmen haben es in den letzten Jahren versäumt, den Standort attraktiver zu gestalten und zukunftssichere Investitionen voranzutreiben.
FR: Im Gegensatz dazu erleben wir in den USA eine beeindruckende Aktienhausse, angeführt von den „Magnificent 7“. Was macht die US-Wirtschaft und deren Unternehmen so erfolgreich?
Vanyo Walter: Die USA profitieren von einem sehr dynamischen Unternehmensumfeld, das stark auf Technologie und Innovation setzt. Firmen wie Apple, Microsoft oder NVIDIA treiben das Wachstum. Dazu kommt die wirtschaftsfreundliche Politik, die Unternehmensgewinne und Bewertungen gleichermaßen beflügelt. Die Berichtssaison für das dritte Quartal zeigt die Stärke der US-Unternehmen: Während der DAX mit einem Gewinneinbruch von 23 % kämpft, legten die Gewinne der S&P-500-Unternehmen um fast 9 % zu. Auch die robusten US-Makrodaten und die Aussicht auf Deregulierung und möglicherweise niedrigere Steuern unter einer neuen Trump-Regierung tragen zur Attraktivität der US-Märkte bei.
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FR: Die „Magnificent 7“ gelten als treibende Kräfte. Sehen Sie Risiken in ihrer Dominanz am Markt?
Vanyo Walter: Qualität hat ihren Preis, und die Bewertungen der „Magnificent 7“ sind in der Tat hoch. Allerdings rechtfertigt ihr überdurchschnittliches Gewinnwachstum diese Bewertungen – zumindest vorerst. Das Risiko besteht, wenn es zu unerwarteten Disruptionen kommt, etwa durch Regulierung oder geopolitische Spannungen wie in Taiwan. Entscheidend ist auch, dass der Börsenaufschwung breiter wird und nicht nur von diesen Schwergewichten getragen wird. Aktuell deutet sich eine positive Entwicklung an, da auch andere Sektoren stärker zur Gewinnentwicklung beitragen.
FR: Welche Auswirkungen hätte eine mögliche Deregulierung und Steuersenkung unter Donald Trump auf die Märkte?
Vanyo Walter: Eine Deregulierung könnte besonders Energie- und Finanzunternehmen Rückenwind geben. Eine Senkung des Unternehmenssteuersatzes von 21 % auf 15 % würde die Gewinne der US-Unternehmen weiter steigern, besonders bei in den USA produzierenden Firmen. Das könnte die Wachstumsraten kurzfristig ankurbeln und die Märkte weiter befeuern. Langfristig bleibt jedoch abzuwarten, wie sich höhere Haushaltsdefizite auf Inflation und Zinsen auswirken würden.
FR: Was müsste Deutschland tun, um wieder konkurrenzfähig zu werden und den Anschluss an die USA zu finden?
Vanyo Walter: Deutschland braucht dringend Reformen, um den Standort attraktiver zu machen. Dazu gehören ein investitionsfreundlicheres Umfeld, weniger Bürokratie und ein klarer Fokus auf Zukunftsbranchen wie Technologie und erneuerbare Energien. Auch steuerliche Anreize könnten helfen, das Vertrauen internationaler Investoren zurückzugewinnen. Der Erfolg der USA zeigt, wie wichtig eine proaktive und innovationsgetriebene Wirtschaftspolitik ist. Deutschland sollte dies als Weckruf verstehen und entsprechend handeln.
FR: Vielen Dank, Herr Walter, für Ihre Einschätzungen!