Japan wirkt für Europäer weit entfernt, doch Anleger sollten genau hinsehen. Steigende Zinsen könnten weltweit für erhebliche Unruhe sorgen.
Im Land der aufgehenden Sonne ist seit Jahrhunderten alles ein wenig anders. In diesem Monat begeht Japan beispielsweise die Gedenktage zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki vor 80 Jahren im August 1945. Japan hatte sein Reich während des zweiten Weltkriegs über halb Asien ausgedehnt und die Kapitulation nach der zweiten Atombombe auf Nagasaki erfolgte deutlich später als jene Deutschlands im Mai 1945. Japans Bevölkerung hörte zugleich am Tag der Kapitulation das erste Mal überhaupt die Stimme des Tenno, des Kaisers Hirohito, der anders als die Verantwortlichen in Deutschland oder Italien seine Macht erhalten konnte und bis 1989 auf dem Kaiserthron verblieb. An die Besatzung durch die Amerikaner knüpfte sich sehr rasch die wirtschaftliche Erholung und das Wirtschaftswunder Japans an, das bis zum Platzen der Immobilienblase in den 90er-Jahren bestand hatte.
Vordergründig läuft es
Seither geht es Japan keinesfalls schlecht, doch mehr wird der status quo gehalten als dass man forsch nach vorne käme. Im Straßenbild Tokios finden sich noch immer etliche Luxusautos japanischer und europäischer Produktion. Fast meinte man Mercedes hätte in Tokio nur für seine wuchtige G-Klasse eine eigene Verkaufsarmada und noch immer leben in Tokio rund 300.000 US-Dollar-Millionäre. Im Bankenviertel reiht sich ein Top-Restaurant an das andere und die ohnehin blitzsauberen Autos in Tokio wirken dort noch brillanter. Aber die Luft wird rauer.
Zinsmarkt macht Probleme
Nach Jahren der gemütlichen Dauerverfügbarkeit kündigte die Bank of Japan (BoJ) ihren langsamen Rückzug vom heimischen Anleihemarkt an – und plötzlich wird’s ungemütlich. Japans Staatsanleihen, einst das Symbol für Zen-artige Stabilität und marktübliche Langeweile, zeigten sich zuletzt sehr nervös. Renditen steigen, Auktionen geraten ins Stocken, und Investoren stehen ratlos da: Wer übernimmt jetzt die Kontrolle? „Die BoJ steht unter Zugzwang, denn die Kerninflation liegt stabil oberhalb von drei Prozent und damit deutlich über dem Zielwert“, findet Vanyo Walter vom Broker RoboMarkets. Gleichzeitig belastet der Handelskonflikt mit den USA die exportorientierte Industrie, besonders durch Zölle auf japanische Fahrzeuge. „Als bedeutender Handelspartner der USA ist Japan anfällig für externe wirtschaftliche Schocks“, so Walter. Die Notenbank steckt in einem Dilemma zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturstabilisierung.
Vom Schlaftablettenpapier zum Risikoasset
Noch vor wenigen Monaten galten japanische Staatsanleihen – kurz JGBs – als Hort der Langeweile. Heute mutieren sie zum spekulativen Instrument im Rentenportfolio. „Nach einer katastrophalen Auktion von 20-jährigen Anleihen legten die Renditen kräftig zu. Für die 40jährige-Anleihe wurden zeitweise 3,70 Prozent ausgerufen“, erklärt Thomas Soltau vom Smartbroker den Rekord. Noch im Frühjahr 2024 waren es weniger als zwei Prozent. Für japanische Verhältnisse ist das wie ein Espresso in der traditionellen Teezeremonie.
Wo liegt das Problem?
In Japan treffen nun schwache Auktionsergebnisse auf institutionelle Anleger, die sich ebenso wie Lebensversicherer zurückhalten was auch an der nervösen Stimmung am US-Anleihemarkt liegt. Zweitens plant die Regierung vor der Oberhauswahl einen schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt – bei einer Staatsverschuldung von über 240 Prozent des BIP, dem höchsten Wert unter den Industrieländern. Premierminister Shigeru Ishiba sprach von einer „extrem schlechten“ Finanzlage – schlimmer als die Griechenlands während der Euro-Schuldenkrise.
Bank of Japan zieht sich zurück
Drittens zieht sich die BoJ langsam aber sicher ein wenig aus dem Markt zurück. Nach Angaben von Nomura will man statt zuvor großzügiger Käufe künftig 400 Milliarden Yen pro Quartal weniger kaufen. Eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch die Wirkung ist fatal, so erklären die Experten vom Lynx-Broker den Zusammenhang: „Steigende Zinsen erhöhen die Schuldenlast des Staates. Je teurer die Refinanzierung, desto größer das Risiko eines fiskalischen Teufelskreises“. Hinzu kommt die demografische Realität: Japans Bevölkerung altert rapide, was das Wachstum hemmt, die Steuerbasis verringert und die Finanzierung der Staatsausgaben erschwert.
Dass gerade der sonst so behäbige JGB-Markt zur globalen Störquelle werden könnte, mag paradox wirken. „Doch mit einem Volumen von rund 8 Billionen Dollar spielt der japanische Bondmarkt in der ersten Liga der Finanzmärkte – direkt hinter den US-Treasuries“, so Shinji Okubaro, Analyst in Tokio beim Researchhaus Yokoma. Steigende Erschütterungen hier wirken weltweit.
Vor allem der Yen-Carry-Trade – das jahrzehntelange Spiel, billig in Yen zu leihen und in höher verzinste Assets zu investieren – gerät unter Druck. Höhere JGB-Renditen und ein stärkerer Yen könnten das Geschäft unrentabel machen. Erste Kapitalrückflüsse zeichnen sich ab mit Auswirkungen auf japanische, US-amerikanische und europäische Märkte. In Japan ist eben doch nicht alles anders.