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Tradingideen

Marktexperte im Interview – Rekordstände an den Börsen – nervöse Rally oder berechtigte Stärke?

Vanyo Walter ist Managing Director bei der RoboMarkets Deutschland GmbH.

FR: Herr Walter, die US-Börsen eilen von einem Rekord zum nächsten – vor allem getrieben von der Technologierally. Ist diese Euphorie gerechtfertigt oder warnen Sie vor Überhitzung?

Vanyo Walter / Robomarkets: Die Dynamik an den US-Märkten ist beeindruckend, keine Frage. Doch die Nervosität ist ebenso real wie das Kursplus. Viele Anleger erinnern sich an frühere Übertreibungen und sehen Parallelen. Aber anders als etwa im Jahr 2000 stehen heute echte Ertragsmodelle hinter der Kursentwicklung. Vor allem die großen Tech-Titel wie Apple, Microsoft oder Nvidia sind hochprofitabel und liefern stabile Zahlen. Natürlich gibt es Bewertungsfragen – ein KGV von über 100 bei Tesla ist kein Schnäppchen –, aber die Marktstruktur hat sich verändert. Plattformmodelle und KI-Anwendungen rechtfertigen andere Maßstäbe als klassische Industrieunternehmen.

FR: Welche Rolle spielt die anstehende Berichtssaison für die weitere Marktentwicklung – gerade in einem Umfeld voller geopolitischer und handelspolitischer Unsicherheiten?

Walter: Die Berichtssaison wird zum Realitätscheck. Besonders spannend ist, dass die Erwartungen für viele Unternehmen im Vorfeld gesenkt wurden – eine gängige Taktik, um positive Überraschungen zu ermöglichen. Doch die großen US-Tech-Werte bilden hier eine Ausnahme: Bei Alphabet, Microsoft und Co. wurden die Gewinnprognosen sogar leicht erhöht. Das spricht für Vertrauen in die Substanz. Entscheidend wird sein, ob sich erste Spuren des Zollchaos oder geopolitischer Spannungen in den Margen oder Konsumausgaben zeigen. Gerade bei kleineren US-Unternehmen aus dem Russell 2000, wo die Schätzungen bereits um zehn Prozent reduziert wurden, könnte es eine höhere Spreizung der Ergebnisse geben.

FR: Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen US- und deutschen Aktien? Ist der DAX derzeit eine günstigere Alternative zum S&P 500?

Walter: Bewertungsseitig wirkt der DAX mit einem KGV von rund 16 günstiger als der S&P 500 mit etwa 22. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Das US-Gewinnwachstum liegt 2025 voraussichtlich bei rund zehn Prozent – beim DAX eher bei fünf. Hinzu kommt: US-Unternehmen übertreffen regelmäßig die Erwartungen, während europäische häufiger enttäuschen. Deshalb ist der Bewertungsaufschlag in den USA fundamental gerechtfertigt. Anleger sollten außerdem nicht vergessen: Ein Investment in „den Weltmarkt“ über Indizes wie den MSCI World ist in Wirklichkeit stark USA-lastig. Das kann Chancen bieten, verlangt aber auch eine bewusste Risikoeinschätzung.

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