Die größte Zinswende der letzten Jahrzehnte ist für Technologieaktien nicht lustig. Für Anleger ergeben sich Gelegenheiten, doch auch ein völliges Desaster ist mitunter drin.
In den kommenden Monaten zur Party im Tesla vorzufahren könnte in Sachen Image ein ganz neues Gefühl hervorbringen. War Firmengründer Elon Musk jahrelang für seine Fans Visionär und Macher in einem, so könnte das zweifelhafte Image bald auf seine Produkte abfärben. So mancher linksliberale Käufer aus den vermeintlich grünen Stadtbezirken San Franciscos, Berlins oder Frankfurts könnte sich fragen, ob seine Weltanschauung noch mit dem vermeintlichen Superstar Musk zusammenpasst. Dass derjenige dann noch Teslas Aktienkurs für den twittrigen Ego-Trip aufs Spiel setzt, reflektiert sich in eben der Kursentwicklung von Tesla. Es sah schon mal besser aus.
Das gilt 2022 aber auch für Amazon, Google und mit Abstrichen sogar Apple. Ziemlich schnell nach der Corona-Krise haben Tech-Aktien, allen voran die Halbleiterindustrie, sich erholen können. Von der Outperformance zum Gesamtmarkt ist aber nichts übrig geblieben. Während die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr wieder Fahrt aufgenommen hat, erzielten zum Beispiel Halbleiter-Titel noch eine starke Performance. Aktuell befinden sie sich nun wieder in einem Abschwung, konnten sich zuletzt aber wieder stabilisieren.
Nummer eins in der Welt der Halbleiteraktien ist Nvidia mit einer Marktkapitalisierung von rund 360 Milliarden US-Dollar der Platzhirsch, auch wenn der Titel in diesem Jahr um rund 50 Prozent eingebrochen ist. Gleichzeitig ist die Konsensschätzung des rollierenden 12-Monats-Gewinns seit dem 30. Juni um 30 Prozent gesunken. Daher haben Halbleiteraktien wie Nividia möglicherweise die Talsohle erreicht.
Es schmerzt bereits
Dagegen spricht jedoch der beständige Kurs der FED. „Die US-Notenbank ist mit der Anhebung der Zinssätze noch nicht fertig“, sagt Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung der Börse München/gettex. „Es ist daher zu früh, um vorherzusagen, wann die Zentralbank ihren Kurs ändern wird“, ergänzt Betz. Rückenwind durch die Notenbanken ist also noch nicht abzusehen und auch der starke Dollar erschwert es US-Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen im Ausland zu verkaufen. Die anstehende Welle von Entlassungen in der Technologiebranche wie sie bereits bei Meta durchführt, belastet zusätzlich. Viele Unternehmen haben ihre Prognosen für Umsatz und Gewinn bereits gesenkt.
Anfang November meldete Qualcomm einen Rückgang der Nachfrage nach Chips, die in Smartphones verwendet werden, und schickte seinen Aktienkurs auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Im Oktober überraschte Taiwan Semiconductor Manufacturing mit positiven Ergebnissen für das dritte Quartal, warnte aber auch vor einer schwächeren Nachfrage.
Eine Frage des Preises
Auch die lange Zeit beliebten FANG-Aktien haben Luft abgelassen. Auf die jüngsten Bilanzen zeigten die Big-Techs die schlechteste Tagesreaktion seit über zwei Jahrzehnten, weil Kurs und Wert der Aktien nicht in einem gesunden Verhältnis standen. „So wurden die fünf größten Werte im S&P 500 vor der Bilanzsaison mit einem KGV von mehr als 30 gepreist, der Gesamtmarkt stand bei 17“, erklärt Ricardo Evangelista, Senior Analyst bei ActivTrades. Inzwischen wird im Schnitt noch der 22fache Gewinn aufgerufen, die Bewertung sieht wieder attraktiver aus – aber noch nicht attraktiv genug.
„Denn solche Mittelwerte geben nur eine grobe Orientierung. Während Meta nach Kursverlusten von 75 Prozent nur noch mit einem KGV von zehn bewertet wird, bezahlen Anleger bei Amazon einen Faktor von 80. Für den Onlineversandhändler keine ungewöhnliche Größenordnung, seit mehr als vier Jahren bewegt sich die Kennzahl in diesen Sphären“, erklärt Niklas Helmreich, Deutschlandchef der Multi-Asset-Investmentplattform Trive.
Bei Tesla spielen hingegen herkömmliche Bewertungsmaßstäbe auch weiterhin nur eine untergeordnete Rolle, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben. Seit Musk Anfang Oktober angekündigte hat, Twitter zu übernehmen, steht der Kurs wie angesprochen massiv unter Druck. Um den Deal zu finanzieren, sollten sich Tesla-Aktionäre auf anhaltende Verkäufe von Musk einstellen. Microsoft wiederum steht mit einem 25er-KGV für den Durchschnitt und hat ähnlich wie der Nasdaq 100 gut 30 Prozent in diesem Jahr verloren.
Nerven gefragt
Die Beispiele zeigen, dass Anleger weiterhin gute Nerven brauchen. Doch wer dauernd auf den idealen Einstieg spekuliert, kauft nie und schaut bei einer Erholung nur zu oder wesentlich weiter oben. Nach den Inflationszahlen Anfang November sind Technologieaktien angesprungen und Fondsmanager griffen erstmals beherzt zu. An der Börse spielt die Gegenwart aber kaum eine Rolle, wichtig sind die Perspektiven. Die Erfahrung zeigt, dass die Wachstumsunternehmen rund ein halbes Jahr vor dem breiten Markt einen tragfähigen Boden ausbilden und dann zuerst anspringen. „In Sachen Stimmung hängen die Tech-Titel noch weit hinterher“, glaubt Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets. Die alte Ökonomie aus Dow Jones und auch DAX erreichte Mitte November jedoch schon wieder ein Stimmungshoch. „Den Fear & Greed-Index in den USA sah man zu Karnevalsbeginn am 11.11 auf dem höchsten Level und damit mit der besten Stimmung des gesamten Jahres. Für das Umfeld aus restriktiver FED, sinkenden Unternehmensgewinnen und noch immer hoher Inflation eigentlich ein Faschingsscherz“, kommentiert Experte Molnar etwas ironisch.