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Tradingideen

Psychofallen an der Börse – Heuristiken – Welche Rolle spielen sie

Börse München

Quelle: https://www.bundesbank.de
Fotos: Uwe Nölke / Nils Thies

In unserem dritten Teil stellen wir die vier wesentlichen Heuristiken näher vor, mit denen wir uns die Welt und das Handeln an der Börse übersichtlicher und einfacher machen (wollen). Vielleicht sind es aber eher typische Fallen, die wir uns selbst erreichten. Wir stellen die Kolumne der Börse München vor… 

Die vier Heuristiken der Psychologie

  • Die Verfügbarkeitsheuristik auf der Ebene der Wahrnehmung von Informationen
  • Die Verankerungsheuristik auf der Ebene der Informationsspeicherung
  • Die Repräsentativitätsheuristik auf der Ebene der Entscheidung
  • Die selektive Wahrnehmung auf der Ebene der Kategorisierung

Die Macht der Headline – Verfügbarkeitsheuristiken

Bei der Verfügbarkeitsheuristik lassen wir uns von der schieren Menge und Positionierung von Informationen dazu verführen, ihnen eine höhere Bedeutung beizumessen. Reißerische, auffällige oder sich wiederholende Informationen zu Börsenwerten beeinflussen unsere Entscheidung. Nach der zeitlichen Folge unserer Informationsaufnahme unterscheiden wir zwei wichtige Verhaltensweisen:

Den Rezenz-Effekt – Die Letzten werden die Ersten sein
Der Rezenz-Effekt (oder recency effect) beschreibt die Tendenz, dass den zuletzt genannten Informationen mehr Gewicht zugebilligt wird als den davor aufgenommenen. Wir sind auf „Neuigkeiten“ gepolt und der Aufdruck »neu« ist für uns immer wieder ein Hingucker. Die Reihenfolge der Informationen übt einen Einfluss auf die Wahrnehmung, Erinnerung und Gewichtung aus. In der Steinzeit war es nachvollziehbar wichtiger, ob heute ein Säbelzahntiger unser Lager umschleicht oder ob er das schon gestern getan hatte.
Den Primary-Effekt – Der frühe Vogel fängt den Wurm
Der Primär-Effekt (oder primacy effect) stellt das Gegenteil des Rezenz-Effektes dar: Die erstgenannten, die frühesten Informationen, die Morning-News brennen sich bei uns ein und erhalten so mehr Gewicht als sie oftmals verdienen. Der einmal gezahlte »Preis« für eine Aktie oder der erste Emissionspreis beim Börsengang gilt uns als Richtschnur und wir werden blind für alle anderen Entwicklungen oder ein sich eventuell völlig verändertes Marktumfeld.
In der Kombination aus Primär-Effekt und Rezenz-Effekt werden Informationen, die zeitlich oder im Text in der Mitte angesiedelt sind, häufig unterbewertet. Bedenken Sie jedoch, dass professionelle Kommunikatoren diese Regeln auch ganz genau kennen. Mein Tipp deshalb: Ab durch die Mitte, konzentrieren sich auf die »eingebetteten« Informationen, sie könnten die wichtigsten sein.

Das muss so sein – Repräsentativitätsheuristik

Bei der Repräsentativitätsheuristik vertrauen wir darauf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn beim Roulette die Kugel sieben Mal auf einer roten Zahl liegen blieb, muss einfach die achte Zahl schwarz sein. Dieser „Monte-Carlo-Effekt“ wirft rationale Wahrscheinlichkeitsrechnungen über den Haufen, denn, egal wie oft das Rouletterad gedreht wird und wie oft hintereinander die Kugel auf rot oder schwarz gefallen war, die Wahrscheinlichkeit, welche Farbe kommt, ist immer gleich, nämlich 50 Prozent (wenn wir die grüne Null einmal außen vor lassen).
Auf die Börse bezogen heißt dies, dass wir mutig aus der Vergangenheit extrapolieren, was die Zukunft bringen soll. Wenn wir eine Aktie bei 100 Euro gekauft haben und sie auf 80 Euro fällt, gehen wir fest davon aus, dass die 100 wieder erreicht wird. Da war sie doch schon einmal… Als Beispiele mögen auch die Kryptowährungen oder der Neue Markt um das Jahr 2000 oder typische Meme-Aktien dienen. Ein ICO einer Kryptowährung oder damals ein IPO im Neuen Markt bedeutet quasi automatisch und unbesehen, dass die Kurse explodieren, es ist doch schließlich eine Kryptowährung, es ist doch ein Neue-Markt-Unternehmen. Leider ähneln sich die Charts dieser Phänomene sehr: Nach einem Höhepunkt folgt der Absturz.

Da war doch was – Verankerungsheuristik

Ganz ähnlich funktioniert auch der Anker. Der Einkaufswert oder das Alltime-High einer Aktie bestimmt unsere Einschätzung über das Papier wesentlich mit. Fundamentale Daten lassen wir unter den Tisch fallen. Wenn eine Telekom-Aktie einmal jenseits der 100 Euro angesiedelt war, dann muss sie doch auch irgendwann wieder dahin zurückkommen. Bleibt die Frage, ob es der Anleger selbst noch erlebt… Auch Analystenmeinungen setzen sich als Anker in uns fest: Haben wir eine Aktie in unserem Depot, dann stürzen wir uns auf die anvisierten Kursziele von Analysten mit der größten Gewinnspanne. Diese vor Augen halten wir an dem Papier fest, komme da, was wolle.

Schön trinken – Selektive Wahrnehmung

Es gibt den bösen Spruch, dass man sich im Laufe eines langen Abends in der Bar die Gesellschaft schön trinkt. Trifft man am nächsten Morgen einen davon wieder, nüchtern und bei grellem Tageslicht, ist man manchmal erschrocken. Der Alkohol verhalf uns zu einer nur noch eingeschränkten Wahrnehmung. Aber auch ohne Alkohol sehen wir oftmals nicht das, was wir sehen sollen, sondern nur das, was wir sehen wollen. Auf gut bayerisch können wir selektive Wahrnehmung etwas eleganter mit Confirmation Bias übersetzen. Dabei handelt es sich nicht um einen Verein evangelischer Konfirmanden. Vielmehr wird mit der Confirmation Bias die Tendenz beschrieben, nur diejenigen Informationen auszuwählen, welche den eigenen Standpunkt bestätigen, die also genau in unser Bild passen. Nach dem Kauf eines Autos konzentrieren wir uns ausschließlich auf positive Fahrberichte, um unsere Entscheidung bestätigt zu sehen.

Wir suchen nach Informationen, die unseren Kauf unterstützen

Auf die Wertpapieranlage bezogen bedeutet das, dass wir nur diejenigen Informationen aufnehmen, die sich mit unserer Einstellung zu einer Aktie decken. Unternehmensmeldungen werden also nach unserer Positionierung am Markt wahrgenommen. Schlechte Meldungen zu einer Aktie, welche wir im Depot haben, kommen meist gar nicht über diese Filter hinweg. Wenn sie es doch schaffen sollten, spielen wir sie herunter und suchen sofort nach anderen Informationen oder Meinungen, welche unsere Zuversicht zu dieser Aktie bestärken und die negativen Nachrichten kompensieren.
Mein Rat also: Heureka! Lassen Sie sich nicht beeindrucken von der Häufigkeit, der Schnelligkeit von Informationen und versuchen Sie, alle Meldungen möglichst neutral aufzunehmen, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und auf ihre Bedeutung für Ihr Engagement, Ihr Depot
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)

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