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Die lauen Sommermonate eines US-Zwischenwahljahres stehen noch bevor. Zwischen Eskalationssorgen um Gas, Inflation und Rezession kommt der DAX unter die Räder. War es das mit dem Börsenjahr 2022?

An negative Renditen haben sich Anleger in den vergangenen Jahren fast schon gewöhnt. Doch die Zeit für den Staat, sehr günstig Schulden aufzunehmen, ist vorbei. Erstmals seit fast 10 Jahren kletterte die Umlaufrendite wieder über die Marke von 1,6 Prozent. Der sich immer deutlicher abzeichnende radikale Kurswechsel bei den Notenbanken hinterlässt auch am sonst eher ruhigen Anleihemarkt deutliche Spuren. 

Im Kampf gegen die Folgen der Corona-Krise haben die Währungshüter mit beispiellosen geldpolitischen Maßnahmen die Märkte mit viel Liquidität geflutet. Inzwischen zeigen sich immer mehr die Folgen: Weltweit springt die Inflation an und zwingt die Notenbanker, einen strafferen geldpolitischen Kurs umzusetzen. „Dafür müssen sie aber einen Spagat schaffen – Preissteigerungen stoppen, ohne die bereits schwächelnde Wirtschaft abzuwürgen und in eine Rezession zu stürzen. Machbar, aber ausgesprochen selten gelingend“, findet Stefan Riße von der Fondsgesellschaft Acatis. Erschwerend kommt hinzu, dass die Inflation etwa durch steigende Energiepreise und Lieferkettenprobleme, und dem Krieg in der Ukraine befeuert wird. Dies sind alles Faktoren, die außerhalb des Einflussbereichs der Notenbanken liegen. 

Zudem haben die Zentralbanker viel an Glaubwürdigkeit verspielt. Die kräftig gestiegene Inflation wurde zunächst nur als vorübergehend eingeschätzt und setzt sich nun immer tiefer im Wirtschaftskreislauf fest. Inzwischen liegt die Teuerung auf beiden Seiten des Atlantiks so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Sollten sich nun auch die Löhne noch stärker an der Preisentwicklung orientieren, droht eine Lohn-Preis-Spirale. „Lieferengpässe sind trotz der Lockerungen in China nicht ausgeräumt. Zahlreiche Unternehmen planen jetzt Preisanhebungen, Zweitrundeneffekte bei den Löhnen drohen“, glaubt Ricardo Evangelista, Senior Analyst beim Broker ActivTrades. 

Neue Epoche in der Geldpolitik

Um diesen Prozess zu durchbrechen, dürfte die Geldpolitik vorerst restriktiv bleiben. Gil Shapira, Chefstratege beim britischen Broker eToro, erwartet dass der rasante Anstieg der Inflation die Geldpolitik der USA erst einmal nachhaltig verändern werde, weitere kräftige Leitzinsanhebungen werde es laut Shapira in diesem Jahr noch geben. Anleger sollten daher auch am Aktienmarkt weiterhin stärkere Schwankungen erwarten und sich auf eine neue Börsenlandschaft einstellen. Die Folgen der sich abzeichnenden Leitzinserhöhungen In Europa und bei der US-Notenbank lassen sich zudem kaum abschätzen. In den vergangenen Jahren war die massive Bilanzausweitung ein Motor für die Rally am Aktienmarkt. 

Auch wenn eine Rezession noch längst nicht sicher ist, verdichten sich doch die Anzeichen für einen wirtschaftlichen Abschwung. „Meine Sorge ist, dass wir in einigen Wochen und Monaten eine sehr besorgniserregende Situation haben könnten“, sagte Finanzminister Christian Lindner diese Woche. Er ergänzt: „Es besteht die Gefahr einer sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferkettenprobleme, aufgrund auch der Inflation.“

Am besten nehmen Anleger ihre Depotpositionen jetzt genau unter die Lupe. „Um der Inflation direkt zu begegnen, sollte es einen ausreichenden Rohstoffanteil geben“, meint Funda Sertkaya, Rohstoffexpertin und Geschäftsführerin beim Edelmetallhändler Ophirum. Ein Rohstoff-Mix decke vieles ab, etwa aus den Bereichen Edelmetalle und Energierohstoffe, ergänzt Sertkaya. 

Welche Aktien lohnen sich noch? 

Technologieaktien sind zwar nicht auf Vorprodukte angewiesen und leiden daher vergleichsweise wenig unter den Preissteigerungen. Dafür belasten die stark steigenden Zinsen. Angetrieben von der Fantasie, in Zukunft hohe Gewinne zu erzielen, zählte das Segment über viele Jahre zu den Favoriten. Mit den höheren Zinsen sind die künftigen Gewinne aber in der Gegenwart weniger wert. Umsatzwachstum um jeden Peis ist nicht mehr gefragt, sondern Profitabilität und Substanz. „Mehr als die Hälfte jener Aktien hat bereits eine Korrektur von 50 Prozent oder mehr durchmachen müssen“, rechnet Experte Evangelista vor. Einziger Hoffnungsschimmer: Sollten die Notenbanker die Zinsen weniger stark anziehen als derzeit eingepreist, könnten Technologieaktien zu den Gewinnern zählen.  

Noch aber zeichnet sich diese Wende nicht ab. Stärke zeigen daher Titel, die früher als langweilig galten und nun ihre Vorteile ausspielen. Dazu zählen Unternehmen, die meist ein sattes Eigenkapitalpolster haben, hohe wiederkehrende Erträge aufweisen, eine attraktive Dividendenrendite bieten und günstig bewertet sind. Basiskonsumgüter und Versorger versprechen nun Stabilität, Procter & Gamble, Coca-Cola und RWE sind hierfür gute Beispiele. Für den Aktienmarkt allgemein gilt jedoch: Die Stimmung ist diametral schlechter als Ende 2021. Das Chance-Risiko-Verhältnis für deutsche und internationale Titel ist jedoch ausgerechnet jetzt ein besseres. Der Sentiment-Indikator von Feingold Research notiert im grünen Bereich und damit so konstruktiv wie zuletzt im November 2020.

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